Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch. Amen
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben als Lösegeld für viele. (aus dem Matthäusevangelium 20, 28)
Mit diesen Worten wird unser Blick bereits auf das Kreuz gelenkt, an dem Jesus stirbt. Auf dem Weg dorthin gibt sich Jesus dem hin, was ihm Menschen antun. Nicht um sich selbst aufzugeben, sondern um uns zu helfen: Uns wird der Spiegel vorgehalten, um zu erkennen, wozu Menschen in der Lage sind. Uns wird versichert, dass Gott uns trotzdem niemals fallen lässt.
Im Babylonischen Talmud lesen wir: Als Mose in den Himmel aufstieg, um die Tora zu empfangen, traf er Gott, der gerade Krönchen an die Buchstaben der Tora band. Mose fragte, warum Gott das machte. Gott antwortete: Weit in der Zukunft wird es einen Mann namens Akiba ben Josef geben. Krönchen für Krönchen wird er an jeden Zacken haufenweise Lehrsätze anknüpfen. Da sprach Mose zu Gott: König der Welt, zeige mir den Mann! Gott sprach: Dreh dich um. Da wandte Mose sich um und saß plötzlich in der hintersten Bank von Rabbi Akibas Lehrhaus, verstand aber kein Wort. Mose war bestürzt. Als Rabbi Akiba etwas Bestimmtes erklärte, fragten ihn seine Schüler: Rabbi, woher weißt du das? Rabbi Akiba antwortete: Das ist einer der Lehrsätze, die Mose am Sinai offenbart wurden. Da war Mose beruhigt.
Mose empfängt die Tora. Nicht im Himmel, sondern auf dem Berg Sinai. Aber dieser Berg ist der Ort der Gegenwart Gottes. Und deshalb kann er auch Himmel genannt werden. Mose sieht, wie Gott an jeden Buchstaben der Tora ein Krönchen knüpft. Jedem Buchstaben wird also die Ehre zuteil, bekrönt zu werden. Nichts in Gottes Wort ist so unwichtig, dass es nicht alles beherrschen kann in der Auslegung dessen, was da geschrieben steht. Auf die Frage, warum Gott das mache, antwortet dieser, dass es einmal jemanden geben wird, der an jeden einzelnen Zacken jedes einzelnen Krönchens wiederum haufenweise Lehrsätze anknüpfen werde. Nichts ist also so unbedeutend, dass nicht endlos darüber nachgedacht und diskutiert werden könnte. Wieder und wieder … Und auch keiner dieser Gedanken über das Wichtige ist so unwichtig, dass es verloren gehen dürfe. Es kann passieren, dass man darüber den eigentlichen Text nicht mehr erkennt. Mose ist erst einmal irritiert. Das ist völlig normal: die Zeiten ändern sich. Man lebt, man denkt, man handelt anders als die Vorfahren. Die alten Texte müssen Antwort geben auf aktuelle Frage- und Infragestellungen. Wichtig ist es jedoch, sicher zu gehen und wieder und wieder zu prüfen, ob alle Gedanken darüber immer noch anknüpfen an dem Ursprünglichen. So wird die Weisheit der Vergangenheit ihren Widerhall finden können in der Gegenwart.
Gott versuchte Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem Gott gesagt hatte. Am dritten Tag hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist das Schaf zum Brandopfer?Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz und streckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. Da rief ein Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Und er antwortete: hier bin ich. Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. Und Abraham nannte die Stätte: „Der Herr sieht“. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der Herr sich sehen lässt. Und der Engel des Herrn rief Abraham abermals vom Himmel her und sprach: Ich habe bei mir selbst geschworen, spricht der Herr: Weil du solches getan hast und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont, will ich dich segnen und deine Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel und wie den Sand am Ufer des Meeres, und deine Nachkommen sollen die Tore ihrer Feinde besitzen; und durch deine Nachkommen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden, weil du meiner Stimme gehorcht hast. So kehrte Abraham zurück zu seinen Knechten. Und sie machten sich auf und zogen miteinander nach Beerscheba und Abraham blieb daselbst. (Genesis 22, 1-19)
Der Vater soll sein Kind töten und es Gott darbringen. Was kann das bedeuten: stellt Gott auf diese Weise Abrahams Glauben auf die Probe? Das Teuerste, was dieser Mann besitzt, soll er hergeben. Das eigene Kind liebt er mehr als sein Leben. So gibt er auch sich selbst preis: all seine Liebe, seine Hoffnungen, die Zuversicht, mit der er noch im hohen Alter bereit gewesen war, neu anzufangen. Auch das damals auf Gottes Ruf hin. Abraham vertraut Gott wirklich voll und ganz. Immer ins Ungewisse hinein war er aufgebrochen aus Ur in Chaldäa, auf dem Weg in das Gelobte Land, im Vertrauen darauf, dass er und Gott eine Zukunft haben in dieser Welt. Abraham tut immer, was Gott sagt. Er vertraut darauf, dass darin ein Sinn verborgen ist, der sich ihm noch nicht erschließt. Aber auch das ist anscheinend Teil des großen Planes sein, den Gott mit ihm zusammen in die Tat umsetzen wird.
Der Vater soll sein Kind töten und es Gott darbringen. Was kann das noch bedeuten: zeigt Gott auf diese Weise auch eine unmenschliche Seite? Zunächst verspricht Gott Abraham alles. Und dann will er ihm beweisen, dass alles ganz schnell auch wieder vorbei sein kann. Denn Isaak war doch der Beweis dafür, dass die Verheißung der Nachkommenschaft keine leere Versprechung, sondern Gottes Plan war für ein Volk, das er sich erwählt hat. Isaak ist der Garant für die Zukunft gewesen: für Gottes Zukunft auf dieser Erde, die sich im Gehorsam auf sein Wort hätte manifestieren können. Das Versprechen verspricht keine Sicherheit. Und dem, was wir glauben, entspricht die Taube auf dem Dach, nicht der Spatz in der Hand.
Der Vater soll sein Kind töten und es Gott darbringen. Was kann das bedeuten: in der rabbinischen Literatur wird weiter erzählt, dass Sarah, Abrahams Frau, Isaaks Mutter, als sie erfährt, was geschehen ist, sechsmal laut aufschreit und dann stirbt. Am Ende war doch alles wieder gut gewesen. Abraham und Isaak sitzen wieder am Küchentisch. Trotzdem zerbricht allein die Vorstellung dessen, was Gott erzwingt und Abraham bereit gewesen ist zu tun, dieser Frau und Mutter das Herz.
Es gibt in unserer Bibel einige Geschichte, an deren Zacken der Krönchen wir unbedingt Lehrsätze anknüpfen müssen. Diese gehört dazu. Denn wir trauen unseren Ohren nicht. Denn wir bedürfen der Erklärungen dafür. Ist das der Gott, an den wir glauben? Und kann dieser Erzvater uns als Vorbild dienen, wenn er sein unschuldiges Kind benutzt, um seinen Gehorsam gegenüber Gott meint beweisen zu müssen? Solche Fragen sind nicht nur berechtigt, sondern zwingend notwendig. Wir müssen solche Fragen stellen. Wir müssen Gott und seinen Kindern diese Fragen stellen, sie in Frage stellen. Nur so können wir ihnen und unserem Glauben und uns selbst auf die Spur kommen.
Wer zugehört hat, aber sich nicht zufrieden gibt mit dem, was er gehört hat, sieht weiter und mehr. Auch den Alttestamentler Christoph Hardmeier hatte die Geschichte von Abraham und Isaak herausgefordert. Er hat sich intensiv damit beschäftig und damals entdeckt, dass die Aufforderung Gottes auch anders hätte verstanden werden können. Dort steht nach wie vor auch in der neuen Lutherübersetzung: „Nimm deinen einzigen, deinen geliebten Sohn Issak, und geh mit ihm in das Land Morija. Bring ihn dort als Brandopfer dar – auf einem Berg, den ich dir nennen werde.“ Dieses „darbingen“ kann nun aber auch als „mitbringen“ übersetzt werden. Damit ergäbe sich nun aber eine ganz andere Situation. Abraham soll seinen Sohn mitnehmen, um mit ihm ein Brandopfer darzubringen. Die Herausforderung bestünde dann darin, dass das, was geopfert werden soll, noch nicht zur Hand ist. Dass man darauf vertrauen muss, dass man neugierig darauf sein kann, was Gott einem dafür bescheren wird.
Ein Glück, die Spannung löst sich auf. Abraham hat sich nur verhört. Er hat Gott missverstanden. Wir könnten es uns einfach machen und uns für diese Sicht der Dinge entscheiden. Doch ganz so einfach ist es nicht. Denn damit würde der Geschichte möglicherweise eine wichtige Aussage verloren gehen. Es soll vielleicht gerade um diese Mehrdeutigkeit gehen und um die Tragweite der Entscheidung, wie wir etwas verstehen sollen, verstehen wollen. Wer die Geschichte geschrieben hat, hat das Missverständnis möglicherweise ganz bewusst in Kauf genommen. Denn dann ließe sich wiederum ein wichtiger Lehrsatz anknüpfen an die Zacken der Krönchen der Buchstaben des Wortes, das „darbringen“ und „mitbringen“ bedeuten kann: Wir hören Gottes Wort. Wir meinen, Gottes Willen verstanden zu haben. Wir lassen uns darauf ein, auch wenn es uns das Herz bricht. Wir vertrauen Gott. Wir vertrauen ihm ganz und gar und hinterfragen nichts mehr... Am Ende merken wir, dass es gar nicht so gemeint war. Gott will etwas ganz anderes.
Abraham nennt die Stätte, an dem er dies erkennt: Gott sieht. Denn Abraham hat erlebt: Gott sieht Menschen in der allergrößten Not, voller Verzweiflung, fassungs- und verständnislos. Und später wird dieselbe Stätte auch „auf dem Berg, da der Herr sich sehen lässt“ genannt. Die Menschen haben begriffen, dass man gerade in der allergrößten Not, wenn man sich verrannt hat und deshalb keinen Ausweg mehr sieht, erkennt, was Gottes wahrer Wille ist: nämlich dass wir erkennen, dass er es nicht ist, der seine Kinder opfern lässt. Gott hält sein Versprechen einer glücklichen Zukunft bis in alle Ewigkeit. Amen.
Lasst uns beten:
Gott, wir danken Dir für Dein Wort, das wir in Gedanken und in unseren Herzen bewegen, um dem Geheimnis Deiner Gnade immer wieder neu auf die Spur zu kommen.
Wir bitten Dich, öffne die Augen und Ohren der Menschen, dass sie Dein Wort hören, darüber nachdenken und diskutieren und dann danach leben. Bediene Dich ihrer, dass sie Gutes tun auf dieser Erde und in Deiner Schöpfung.
Wir bitten Dich für alle Kinder und Jugendlichen auf dieser Erde, dass sie nicht geopfert werden im Krieg und in Hungersnöten, auf der Flucht vor der Gier derer, die meinen, alles besitzen zu dürfen. Unsere Kinder, die jungen Menschen sollen eine Zukunft haben Stifte Frieden, dass sie Liebe erfahren, ein Urvertrauen gewinnen, und lernen können auf ihren Lebenswegen.
Wir bitten Dich für alle, die an Dir zweifeln und an dem, was sie von Dir denken, verzweifeln. Offenbare ihnen Deine ewige Gnade in Jesus Christus. Lass sie Deine Nähe erfahren in der Ruhe und im Frieden, in der Gemeinschaft mit lieben Menschen.
Wir bitten Dich für alle, die Verantwortung übertragen bekommen haben. Bewahre sie davor, überheblich zu werden. Im selben Atemzug bitten wir Dich für jene, die sich klein und hilflos fühlen. Stärke ihr Selbstbewusstsein, dass wir gemeinsam zurückfinden auf den Weg, den Du uns weist.
Vater unser im Himmel. Geheiligt werde Dein Name. Dein Reich komme. Dein Wille geschehe, wie im Himmel so auf Erden. Unser tägliches Brot gibt uns heute. Und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Bösen. Denn Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.
Der Herr segne dich und behüte dich, der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig, der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden. Amen
Die Glocken unserer Kirche läuten zum Innehalten und zum Gebet: werktags um 8 Uhr, um 12 Uhr und um 18 Uhr. Die Kirche ist Montag bis Freitag von 10 bis 15 Uhr geöffnet.
Das sind unsere Kontaktdaten:
Marion Steffen im Büro - 03834 2263 Pastor Dr. Bernd Magedanz - 03834 8477052 Pastorin Dr. Ulrike Streckenbach - 03834 886104 Angela Jütte im Treffpunkt Kirche - 03834 883375 Nachbarschaftshilfe - 0162 7687770
Wir grüßen Sie im Namen des Kirchengemeinderates und aller Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen an St. Marien herzlich.
Ihre Pastorin Dr. Ulrike Streckenbach und Ihr Pastor Dr. Magedanz